Gedanken zum Jahresende
- Christin-Marie Arold
- 20. Dez. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Gestern fuhr ich als Beifahrerin in einem Zeppelin über eine mir fremde Stadt. Heute trug mich ein großes schwarzen Pferd durch einen Wald. Wohin die Reisen gehen, weiß ich meistens nicht. Wer war ich, wer bin ich, wer will und werde ich sein? Wie viel Kontrolle haben wir darüber überhaupt? Wer kann ich sein und wer kann ich nicht sein? Warum wollen wir, was wir wollen? Wonach streben wir? Welche Vorbilder haben wir? Was ist ein Vorbild? Brauchen wir Held*innen? Ideale? Ist Gleichberechtigung möglich? Ist ein Leben ohne Konkurrenz und Wettkampf möglich? Ist eine Welt möglich, in der niemand hungern muss, in Gefahr ist? Eine Welt ohne Krisen? Wen nich es mir doch vorstellen kann! Können wir Gier und Angst und Hass beseitigen? Können wir lernen mit unseren eigenen und den kollektiven Scham- und Schuldgefühlen umzugehen? Können wir lernen uns selbst zu akzeptieren, uns selbst lieben lernen? Können wir verzichten? Können wir uns selbst regulieren? Können wir lernen uns auszudrücken? Unser inneres verständlich machen? Ohne Gewalt? Ist es realistisch von allen Menschen auf der Welt zu verlangen, zu erwarten, friedlich zu sein? Höflich? Sollen wir von Menschen erwarten um etwas zu bitten, was andere im Überfluss zur Verfügung haben oder bewusst zurückhalten? Wie würde eine friedliche gleichberechtigte gewaltfreie Welt aussehen – Gesellschaften ohne Ausbeutung, ohne Hunger, ohne Krieg, ohne Waffen, ohne Angst, ohne das BEdürfnis sich verteidigen zu müssen, ohne ein fehlendes Gefühl von Sicherheit? Können wir eine Gesellschaft schaffen, in der sich die Menschen einander vertrauen und füreinander leben? Eine Gesellschaft, in der sich jede*r sorgenfrei selbst entfalten kann, ein gesundes glückliches Leben leben kann, einfach nur SEIN kann? Geht dann der Sinn verloren, wenn wir für nichts mehr kämpfen müssen? Wenn alle Menschen frei sind? Wird uns dann langweilig? Können wir unsere eigene Existenz nicht aushalten und suchen wir deshalb immer wieder nach Wegen uns selbst zu zerstören? Reibung, Konflikte, Feindbilder: Suchen wir nicht förmlich danach? Ist es nicht so, dass wir diese nicht immer und immer wieder neu erschaffen? Mit der selben Fantasie, die auch in der Lage ist, sich das Paradis herbeizuträumen? Ist das die Entscheidung, die wir immer und immer wieder treffen wollen? Kann es wirklich sein, dass wir es genau so wollen ,wie es gerade ist? Meiner Beobachtung nach fühlen sich die meisten Menschen machtlos und hilflos. Sie halten sich für unbedeutsam und haben kein Bewusstsein für ihre Stärken und ihren Einfluss. Alles um sie herum wirkt so groß und weit und viel und unüberschaubar, ungreifbar, überfordernd. "Was kann ein einzelner schon tun?", fragen sie. Wann werden uns andere Menschen egal? Wer sind die Leute, die immer mehr haben wollen und die dafür über Leichen gehen? Wer kategorisiert Menschen in gut und böse? Wann machen wir andere Menschen für unsere eigenen Probleme verantwortlich? Können wir Strukturen schaffen, in denen niemand benachteiligt wird? Wer entscheidet heute darüber, wann etwas ein Vor- und wann ein -Nachteil ist? Sollte das jed*er für sich selbst entscheiden? Kann eine dafür geschaffene Instanz das entscheiden? In einer vielfältigen Gesellschaft gibt es ganz individuelle Bedürfnisse. Eine Massenlösung ist nicht möglich und das ist auch gut so. Wir sind neidisch, eifersüchtig und gierig. Wir sind Menschen. Also alles unmöglich? Können wir genauer hinschauen? Was fehlt uns wirklich? Welche Löcher versuchen wir zu stopfen mit Geld, Gewalt, Macht, Konsum, Kontrolle und sogenannter Sicherheit? Warum haben wir solche Angst vor Frieden? Vor Nähe? Vor Halt? Vor Zuneigung? Wer hat uns enttäuscht, verletzt und verraten? Wie können wir einander mehr vertrauen und ist eine Welt ohne das Böse, ohne Kriminalität, ohen Diebstahl, ohne Gewalt wirklich möglich? Einerseits sind wir überfordert mit ann dem Wissen. Nie hatten wir Zugang zu so vielen Informationen. Als Kind der 90er Jahre war alles immer so weit weg für mich. Ein Privileg, wie ich heute einzuordnen weiß. Das trifft nicht auf Kinder der 90er zu, die von Armut betroffen waren, die flüchten mussten, die Rassismus erfahren haben, für behinderte Kinder, die nicht die nötige Unterstützung bekamen und für so viele andere Menschen. Aber mit mir hatte das damals alles nichts zu tun. Kriege waren woanders. Schuld waren die Menschen dort selbst. Dachte ich. Heute fühlt sich die Welt für mich viel kleiner an. Alles ist viel näher zusammen gerückt, miteinander verwoben und vernetzt. Vieles ist sichtbar geworden, was vorher im Verborgenen lag, zurückgehalten wurde. Oft lese ich, dass unsere Gehirne und Nervensysteme für diese Informarionsflut nicht weit genug entwickelt sind. Und kaum jemand stellt die brutalen Tatsachen in Frage. Nein, die Schlussfolgerung lautet meist: Wir sind dafür nicht gemacht, deshalb entziehe ich mich dem Wissen, deshalb brauchen wir Grenzen, deshalb soll jede Nation ihr eigenes Ding machen, deshalb kann ich mich nicht auch noch die Problem irgendwelcher fremden Menschen im Ausland kümmern. Ich hingegen empfinde es als eine Bereicherung. Ich argumentiere, dass wir Menschen gut sind, wie wir sind. Unsere Gehirne und Nervensystem sind vollkommen in Ordnung. Und sie tun genau das, wozu sie da sind. Wir erkennen Ungerechtigkeit. Wir erkennen Missstände. Wir erkennen dadurch, was falsch ist. Das "Heranholen", das "sich vertraut machen" schafft Nähe und was uns nah ist, lässt sich schwieriger ignorieren oder zerstören. Wenn wir eine Bindung zulassen – zum Fremden, zur Welt, zu UNS SELBST – wird daraus etwas Bekanntes. Es entweicht der abstrakten Form. Wenn wir nur in allem Fremden ein Stück von uns selbst erkennen können, dann besteht Hoffnung. Doch das erfordert Wille und Mut und Mühe. Wir müssen aktiv Mitleid ersetzen durch echtes Mitgefühl. Das bedeutet FÜHLEN. SENSIBEL SEIN. Alle Sinne einsetzen und aushalten. Wir müssen erkennen, dass das Leid und der Schmerz in der Fremde auch unser eigener ist. Es fühlt sich so schlüssig und logisch in mir an. So simpel. So umsetzbar. Und doch sind wir so weit davon entfernt. Menschen wollen erst bekommen. Wir wollen einen Vorschuss und Beweise. Können wir selbst vielleicht der Beweis sein? Ein Vorbild? Für das neue Jahr wünsche ich mir und hoffe ich, dass mehr Menschen zum Beweis für Menschlichkeit werden. Selbstvertrauen. Hingabe. Demut. Milde sein. Offene Herzen. Einladen statt ausgrenzen. Öfter das Herz befragen als den Kopf. Spüren. Fühlen. Innehalten. Mutig sein. Ich habe nicht auf alle Fragen eine Antwort. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen in Machtpositionen das auch zugeben würden. Und dass wir von scheinbaren Lösungen Abstand nehmen, bei denen wir unsere menschliche Eigenschaft – das Mitgefühl – vergessen. Wir können Neid, Eifersucht, Gier und Hass empfinden. Und wir können Barmherzigkeit und Liebe empfinden. Die Gleichzeitigkeit der Dinge. Wonach streben wir im Jahr 2025? Wonach richten wir unser Handeln aus?

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